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3.12.2024

Harald Reutershahn ist verstorben - Nachruf von Hannes Heiler

Lange hat er durchgehalten, der Rheingauer aus dem Jahrgang 1954. Er machte eine Ausbildung zum Buchhalter, nicht aus Neigung, sondern weil ihm nichts anderes übrig blieb. Er lernte Gewerkschafter und DKPler kennen, kandidierte 1983 im Rheingau-Taunuskreis für den Landtag auf der Liste der DKP und bekam damals immerhin 43 Stimmen. Er zog nach Wiesbaden und bewarb sich nach mehr als acht Jahren Arbeitslosigkeit 1984 beim CeBeeF Frankfurt e.V.. Er bekam die Stelle, was auch in einem solchen Verein nicht unumstritten war. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Mitarbeitern und behinderten Mitgliedern bezog er deutlich Position, was ihm nicht nur Freunde machte.

Harald war ein Urgestein der Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft (FBAG), er hat sie 1991 mit begründet und war einige Jahre auch Vorsitzender. Ein Beispiel seiner flammenden Reden und Artikel ist sein Aufruf zum 5.Mai 2018 mit dem Titel:

„Die Zukunft war schon mal besser“
„Wir, soweit wir Behinderte sind, solange wir behindert werden, hatten einen Traum getanzt. Nicht, dass wir Traumtänzer wären an sich. Aber unsere Melodie klang schön, und die Vorfreude wuchs, dass wir Gleiche unter Gleichen werden könnten, wenn die Barrieren und alle Hinderungen beseitigt und für alle Zeiten abgeschafft würden. (…)
Papier wurde dazu beschrieben, ein Vierteljahrhundert lang und länger. Programme verfasst, Erklärungen dazu und Vereinbarungen getroffen, sowie Gesetze beschlossen und Menschenrechtskonventionen verabschiedet. Auf Wiedersehen. Und je mehr die Behinderten auf all das gepfiffen haben, dachten die Realmusiker unter uns, es werde unser Liedchen von den Realbehinderten aus Begeisterung mitgepfiffen. Aber Pfeifendeckel. Allmählich beginnt man, wenn auch widerwillig und sehr langsam, zu begreifen: Das Pfeifkonzert entpuppt sich nach und nach als Streichkonzert. Und die politischen Schlaftabletten taten und tun ihre Wirkung.
Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen? Barrierefreiheit überall? Inklusion? Teilhabegerechtigkeit? Pflegenotstand abschaffen? Das waren Sonntagsreden. Die Schaufensterauslagen wurden ausgeräumt. Abgerechnet wird nach dem Kostenfaktor, das bringt „Benefit„,und den Maßstab dafür setzt die Privatwirtschaft. (…)
Und es bleibt dabei: Wir, soweit wir Behinderte sind, solange wir behindert werden, tanzen weiter unseren Traum. Nicht, dass wir Traumtänzer wären an sich. Aber unsere Melodie klingt schön, und die Vorfreude wächst weiter, dass wir Gleiche unter Gleichen sein werden, wenn die Barrieren und alle Hinderungen beseitigt und für alle Zeiten abgeschafft sind.“

Harald war auf jeden Fall ein streitbarer Geist und Überzeugungstäter, er wich nur selten einem Streit aus. Seine Reden waren sprichwörtlich, dabei war er nicht immer besonders diplomatisch; je nach Situation konnte es auch mal die Falschen treffen. Dennoch – er hat viele wichtige Impulse gegeben und Aktionen gestartet.
Im Internet-Auftritt des ehemaligen CeBeeF Frankfurt e.V. betreute er das Forum und war Mitbegründer der Kobinet-Nachrichten. Über Jahre verfasste er dort seine Kolumne und sorgte dafür, dass die kobinet-nachrichten vielfältig aufgestellt waren und die Kritik an der Politik und den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht zu kurz kam. In den letzten Jahren hatte sich der kritische Geist aus Frankfurt jedoch zunehmend aus der Berichterstattung zurückgezogen, was auch mit seinen schwindenden Kräften, aber auch mit der Ernüchterung in Sachen Behindertenpolitik zu tun hatte.

Er versuchte, ein Zentrum für selbstbestimmtes Leben (ZsL) Frankfurt zu gründen und wechselte 1990 vom Ambulanten Dienst zum Arbeitgebermodell. Dabei war ihm von Anfang an wichtig, korrekte Arbeitsbedingungen einzuhalten und für seine Helfer Tariflohn zu zahlen. Grundsätzlich hatte ja das Stadtparlament beschlossen, im Sozialbereich Tariflöhne zu refinanzieren, doch beim „Kleingedruckten“ gab es immer wieder Konflikte – mit fragwürdigen Argumenten wurde behauptet, das gelte nur für Pflegedienste, nicht aber für Menschen im Arbeitgebermodell. Bis zum Schluss arbeitete er eng mit Gewerkschaftern zusammen, klagte gegen das Sozialamt der Stadt Frankfurt, doch die Klage wurde abgewiesen – wegen Verjährung!

»Ich werde so lange keine Ruhe geben, bis das gewerkschaftliche Tarifrecht für meine Beschäftigten durchgesetzt ist.« - Harald Reutershahn
Protestaktion am 16. September 2019 vor dem Frankfurter Sozialgericht.
Hannes Heiler
Wir werden Ihn sehr vermissen!
Sabine Eickmann

Vorsitzende: Sabine Eickmann; s.eickmann@fbag.de
Geschäftsführung: Dezernat Soziales, Senioren, Jugend und Recht
Beauftragter für Menschen mit Behinderung
& Geschäftsführung FBAG; soeren.schmidt@stadt-frankfurt.de