Petra Rieth wurde im April 1956 in Gütersloh in einfachen Verhältnissen geboren. Sie kam mit offenem Rücken (Spina bifida) zur Welt, und damals war es nicht selbstverständlich, solche Kinder leben zu lassen und den offenen Rücken zu operieren.
Sie besuchte nie eine Sonderschule – vor allem ihre Oma sorgte dafür, dass sie in die Regelschule ging.
Sie ging nach der Hauptschule auf die Kaufm. Schule und suchte sich dann eine Ausbildungsstelle bei Miele („Ich habe zwei Probleme: eine 5 in Englisch und ich sitze im Rollstuhl!“). Die Ausbildung musste sie nach einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen abbrechen.
Inzwischen hatte sie fast jedes Jahr schwere Nieren- und Blasenentzündungen, Früh hatte sie Angst, den nächsten Winter nicht zu überleben.
Schließlich besuchte sie die höhere Handelsschule und anschließend die Berufsfindung im BBW Annastift in Hannover.
Die Nierenwerte wurden schlechter, und im Sommer 1980 fand ihre erste Dialyse statt. Ein Arzt gab ihr die Prognose, mit Dialyse 25 Jahre zu leben; in Gedanken zog sie 5 Jahre ab, weil sie sich nicht exakt an Diätvorschriften hielt – doch 20 Jahre – das war doch eine tolle Perspektive! Außerdem hatte sie nun keine Probleme mehr mit Blasen-Inkontinenz.
Sie beteiligte sich früh an der Protestbewegung gegen das UNO-Jahr der Behinderten 1981, an Demonstrationen und am Krüppel-Tribunal. Auf der Reha-Messe in Düsseldorf führte sie für den WDR verschiedene Hilfsmittel für eine Fernsehsendung vor. Bei so mancher Demonstration für barrierefreien Nahverkehr fror sie, denn solche Demos fanden meist im Herbst oder Winter statt (warum auch immer).
Nach anfangs großen Problemen an der Dialyse fing sie ein Sozialarbeit-Studium an der FH Hannover an, und nach dem Grundstudium wechselte sie nach Frankfurt. Nach dem Studium arbeitete sie in einem neuen Projekt, das sie mit entwickelt hatte: den Ambulanten Diensten Bockenheim. Erst in dieser Zeit begriff sie, dass sie auch mit ihrer Kombination aus zwei Behinderungen – Querschnittlähmung und Dialyse – sinnvolle Arbeit leisten und zumindest halbtags arbeiten konnte.
Anfang 1985 konnte sie endlich auch die Dialyse in eigener Regie durchführen, als Heim-Hämodialyse mit Assistenz. Als ein Arzt – Dr. Seyffart - ein neues Dialyse-Zentrum eröffnete und Patienten suchte, konfrontierte sie ihn sofort mit diesen Zielen, und nachdem er sie eine Weile aufgepäppelt hatte, konnte das Heimdialyse-Training beginnen. Auch später hatte sie Dr. Seyffart viel zu verdanken.
Im Sommer 89 gab es dann häufiger Probleme mit dem Dialyse-Zugang, sie musste mehrmals am Arm operiert werden.
Sie kümmerte sich um Entwicklung und Vertrieb von spezieller Kleidung für RollstuhlfahrerInnen und knüpfte Kontakte zu Behindertengruppen in der Ex-DDR. Auch bei der Entwicklung von Hilfsmitteln mischte sie sich ein, und sie genoß Fahrten mit ihrem Rollstuhl-Zuggerät durch Wald und Wiesen.
Schließlich arbeitete sie einige Jahre in einem Beratungsprojekt im Rahmen des ISO eV. Hier hatte sie vor allem Reiner Schwarzbach (ZAV) und Diethelm Damm (ISO) viel zu verdanken.
1998 arbeitete sie dann an einer Studie über die Situation junger Frauen mit Behinderungen im Auftrag der Stadt Wiesbaden mit, doch dieses Projekt wurde jäh unterbrochen durch eine schwere Blasenkrebs-OP. Danach musste sie die EU-Rente einreichen.
Sie beteiligte sich weiterhin an Aktivitäten behinderter Frauen in Frankfurt und Hessen, auch die Nachfolgetreffen der Aktionsgruppen zum Uno-Jahr liefen weiter.
Auf lokaler Ebene war sie Mitglied im DVBF, dem Deutschen Verband Berufstätiger Frauen; einigen älteren Mitgliedern dieses Verbandes hatte sie viel zu verdanken.
Im Jahr 2000 feierte sie zweimal Geburtstag – im Sommer feierte sie 20 Jahre Dialyse. Ja, sie fand: das war ein Grund zum Feiern!
Es ging ihr den Umständen entsprechend wieder ziemlich gut, sie hatte einen Kleingarten und erlebte schöne Urlaube – an der Ostsee, in Andalusien, in Kroatien und anderen Orten.
Schon in Hannover hatte sie Helferinnen, und im Laufe der Jahre wuchs der Hilfebedarf. Sie hatte eine Zeitlang weibliche Helferinnen und ZDL, doch spätestens ab 1990 legte sie Wert darauf, nur noch weibliche Kräfte zu beschäftigen.
Schließlich war sie eine der treibenden Kräfte bei der Gründung des Vereins selbst eV, zu dessen Vorstand sie von Anfang an bis zu ihrem Tod angehörte.
Viele Jahre war sie in der FBAG Sprecherin des Fachausschusses Verkehr, sie gehörte 20 Jahre lang dem Fahrgastbeirat bei traffiQ an, davon viele Jahre als eine der drei Sprecher.
Im Sommer 2017 stellte sich eine Entzündung im Dialyse-Shunt ein, sie musste den Urlaub abbrechen und umgehend in die Klinik fahren. In einer großen OP wurde das verstärkte Blutgefäß vom rechten auf den linken Oberarm verpflanzt. Doch es gab immer wieder Verstopfungen in diesem Blutgefäß, sie musste mehrmals in kurzen Abständen operiert werden. Als sie Ende August 2018 wieder mal nach Wiesbaden in die Klinik musste, erlitt sie einen Schlaganfall, war binnen eines halben Tages nicht mehr ansprechbar. Langsam erholte sie sich wieder davon, nach 2 Wochen hieß es dienstags: am Samstag kann sie nach Hause. Auch der Dialyse-Shunt war mittlerweile operiert worden.
Doch Mittwoch morgens erlitt sie wieder einen Schlaganfall, und mittags setzte ihr Herz aus. Einmal konnte sie reanimiert werden, doch abends setzte es wieder aus. Sie hatte am Ende einfach keine Kraft mehr…
Sie starb am 12.9.2018 in der Horst-Schmidt-Klinik in Wiesbaden.
Wir werden sie in Erinnerung behalten und die vielen noch unerledigten Themen weiter verfolgen und uns in ihrem Sinne einmischen.
Weint nicht, weil sie gestorben ist;
freut euch, daß sie gelebt hat!
Dieses Motto hatte sie sich schon vor Jahren für den Nachruf gewünscht.
Hannes Heiler